Komplexität meistern mit dem Cynefin-Framework

by | Dez 10, 2017

Das Cynefin-Framework

Das Cynefin-Framework kann eine Hilfe sein, um der Komplexitätsfalle zu entgehen. In diese gerät man leicht, wenn man als Manager oder Mangerin auf “biegen und brechen” versucht, komplexe Situationen in den Griff zu bekommen. Und dass es heute in Unternehemen herausfordernd zugeht, ist eine Binsenweisheit.

Meine These: die komplexen Herausforderungen in denen Führungskräfte stehen, fordern bis an die Grenze des individuell Möglichen.

Dass Manager ihre Tätigkeit zunehmend als schwierig und belastend einstufen ist nicht überraschend. So zeigt der Hernstein Management Report 2017 auf, dass 37% der Manager ein häufiges Stressgefühl erleben[1]https://www.hernstein.at/newsroom/management-insights/burn-out-ausgeglichene-work-life-balance-und-resilienz-als-antwort/. Jede 4. Führungskraft schließt für sich selbst die Gefahr eines Burn-Outs nicht aus.

Das Cynefin-Framework bietet die Möglichkeit, Situationen im Management besser einzuordnen und das eigene Verhalten darauf abzustimmen.

Mehr Ruhe und Übersicht kommt dadurch in das Management.

Komplexität durch Digitalisierung

Die drastischen Veränderungen durch die Digitalisierung haben neue Möglichkeiten der weltweiten Zusammenarbeit ermöglicht. Produktion rund um die Uhr, in nahezu allen Erdteilen und über unterschiedliche Kulturen hinweg ist heute zunehmend die Regel. Ein solches weltumspannendes Unternehmen ähnelt kaum mehr einem Betrieb im 20. Jahrhundert, der einige wenige Standorte hatte und wo der „Generaldirektor“ noch alles regelte.

Heute ähneln Unternehmen weit mehr sich selbst steuernden Organismen, die als schwer durchschaubare, komplexe Gebilde erscheinen. Das liegt zu einem erheblichen Teil an dem hohen Grad an Vernetztheit und den damit einhergehenden unvorhersehbaren Wechselwirkungen. Für MitarbeiterInnen und Führungskräfte ist die Sinnhaftigkeit vieler Unternehmensprozesse und Entscheidungen nicht mehr nachvollziehbar.

Unsicherheit und Ängste entstehen, die durch die lockeren Bindungen, die in modernen Unternehmen herrschen, kaum noch aufgefangen werden können.

Übrigens gibt es das Gefühl an zunehmender Verunsicherung (VUCA-Welt[2]https://www.heisetraining.at/entscheidungen-treffen-in-der-vuca-welt/) auch für Einzelunternehmer. Vielleicht wiegt für diese das Gefühl der Verunsicherung noch schwerer, wenn der Austausch mit ähnlich empfindenden „Leidensgenossen“ fehlt.

Wie kannst du nun in einer komplexen Welt als Führungskraft bestmöglich agieren?

Dazu gibt das Cynefin Modell einige Ansatzpunkte.

Das Cynefin-Framework

Das Modell wurde von Dave Snowden [*1954] entwickelt. Das Wort „Cynefin“ kommt aus dem walisischen und kann mit „Lebensraum“ oder „Platz“ übersetzen[3]zur Bedeutung siehe Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Cynefin-Framework . Daher ist der Aspekt des Wohnens bzw. des Ortes in dem man sich aufhält wichtig, um den Ansatz zu verstehen.

Im Cynefin-Framework gibt es vier Zustände, die ein System annehmen kann:

  • Einfach
  • Kompliziert
  • Komplex
  • Chaotisch

Einfache Systeme

Einfach ist ein System dann, wenn ein eindeutiger Ursache-Wirkungszusammenhang besteht. Wir nehmen ein Ereignis wahr und können fragen: „Was ist die Ursache dafür?“
Ein Beispiel: Du schaltest eine elektrische Lampe ein – aber der Raum bleibt dunkel. Nun wirst du kaum nach einer übernatürlichen Erklärung suchen, sondern davon ausgehen, dass die Glühbirne ihren Geist aufgegeben hat. Also flugs eine neue Birne reingeschraubt und die Sache ist geritzt.

Solche Vorgangsweisen – also zuerst einmal zu versuchen die Glühbirne zu tauschen – sind bewährte Methoden oder „Best Practice“-Modelle.  Sie funktionieren nach dem Prinzip, das Problem zu beobachten, akkurat zu beschreiben und dann zu kategorisieren.  Dann wird man auf das Problem antworten.

Das funktioniert deshalb, weil wir für eine Vielzahl an Problemen bereits genug Wissen haben, wie die Lösung auszusehen hat. Wir müssen also für einfache Probleme nicht immer wieder bei Null anfangen, sondern können uns auf bewährte Vorgangsweisen verlassen. Man bezeichnet das auch als Best Practice. Bewährte Vorgangsweisen zur Problemlösung können in Checklisten und Handbüchern zusammengefasst werden.

Als Führungskraft wirst du danach trachten, Best practice Lösungen für bekannte Probleme zu sammeln und als verbindliche Standards deinen Mitarbeitenden zur Verfügung zu stellen.

Komplizierte Systeme

Kompliziert sind Systeme dann, wenn es mehrere Ursachen geben kann. Auch in komplizierten Systemen gibt es Ursache-Wirkungszusammenhänge – jedoch sind diese nicht auf den ersten Blick erkennbar. Hier steht auch an erster Stelle das Problem zu beobachten. In diesen Erkenntnisprozess fließt jedoch bereits ein, dass es sich nicht um ein „einfaches“ Problem handelt, sondern um eine komplizierte Angelegenheit. Hier ist es notwendig, zu analysieren und dann aus den vielen möglichen Strategien mit jener zu antworten, die am meisten Erfolg verspricht. Das nennt man auch Good Practice. Ein Beispiel ist das Auto: wenn eine Fehlfunktion vorliegt, kann der durchschnittliche Autofahrer meist keine Lösung finden. Er muss sich an eine Werkstätte wenden, bei der das Problem analysiert und die beste Lösung gefunden wird.

Komplizierte Kontexte sind die Domäne von Experten oder Fachleuten. Sie wissen über viele mögliche Ursache-Wirkungsbeziehungen Bescheid und verfügen über Methoden, diese darzustellen. Als Führungskraft tust du gut daran, für komplizierte Probleme Experten und Fachleute mit Analysen zu beauftragen. Daraus wird ein Maßnahmenplan entwickelt, der dann umgesetzt wird. Wichtig ist jedoch zu akzeptieren, dass es keine „Best Practice“ Lösung geben wird. Eine taugliche, praktikable und gute Lösung muss ausreichend sein.

Komplexe Systeme

Komplex sind Systeme dann, wenn Ursache-Wirkungs-Beziehungen nur im Nachhinein beurteilt werden können. Der Grund liegt darin, dass in komplexen Systemen eine Vielzahl von Systemelementen miteinander interagieren. Das System ist sehr dynamisch. Eine kleine Änderung kann eine große Wirkung entfalten. Welche Wirkungen das genau sind, kann nur sehr bedingt vorhergesagt werden. Einmal gefundene Problemlösungen für ein spezifisches Problem können daher nur schlecht auf einen anderen Fall übertragen werden. Daher sind komplexe Systeme auch nur bedingt steuerbar – aber trotzdem kann das Management steuernden Einfluss nehmen. Ein wichtiges Merkmal komplexer Systeme ist, dass es beschreibbare Muster gibt.

So ist das Verhalten von Menschen in einem Team ein schönes Beispiel für ein komplexes System. Die Interaktionen in diesem Team sind zwar nicht mit Sicherheit vorhersehbar, jedoch kannst du von außen beobachten, wie die Teammitglieder miteinander umgehen. Also etwa wer am meisten spricht, wie Problemen gelöst werden, wie das Stressverhalten ist etc.

Komplexität im Management

Die meisten Situationen im Management sind komplexer Natur. Schlechte Quartalszahlen, eine Veränderung im Management, Preisentwicklung, Verkäufe von Unternehmensteilen, Fusionen etc. sind Ereignisse, die mit Veränderung, Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit einhergehen. Keine gute Idee ist es, Komplexität reduzieren zu wollen. Ein komplexes System kannst du im Unterschied zu komplizierten Systeme nicht in seine „Einzelteile“ zerlegen. Es ist mehr als die Summe seiner Teile. Alle Teile interagieren in einer besonderen Art und Weise. Einfach etwas wegzulassen führt nicht zur Beherrschbarkeit des Systemes, sondern zu neuen unvorhersehbaren Reaktionen.

Die besondere Art und Weise des Umgangs miteinander ist ein bestimmtes Antwortmuster, das sichtbar wird. Man spricht im Cynefin-Framework auch von „emergentem Wissen“. Damit wird ausgedrückt, dass das System eine adäquate Antwort gibt, wenn es „getestet“ wird. Daher ist es notwendig in komplexen System die Schritte: probierenbeobachtenreagieren immer wieder zu durchlaufen. Die Idee ist, dass sich durch dieses Management-Verhalten eine adäquate Antwort auf die Problemstellung finden wird.

Überflüssig zu erwähnen, dass probierendes Managen natürlich eine hohe Sensibilität für die Situation im Hier-und-Jetzt erfordert. Was sich in diesem probierenden Prozess bewährt, wird beibehalten – unpassende Lösungsansätze ausgeschieden. Durch diesen Prozess verändert sich das System jedoch auch und strukturiert sich neu.

Chaotische Systeme

Chaotische Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass es gar keine Ursache-Wirkung-Beziehungen mehr gibt. Nehmen wir als Beispiel eine Naturkatastrophe. Eine Lawine ist abgegangen – viele Menschen wurden verschüttet. Das Ereignis berührt viele Ebenen: Wie gewinnt man ein zutreffendes Gesamtbild? Welches Ausmaß hat das Ereignis? Wie viele Personen sind verschüttet und wo? Wie können Hilfskräfte herangeführt werden? Sind noch weitere Lawinenabgänge zu erwarten? Wer gestaltet die Informationspolitik?…

Was in dieser chaotischen Situation fehlt, ist Ordnung. Hier gilt die Devise: handelnbeobachtenreagieren. Notwendige Verfahren und Prozesse können hilfreich sein – allerdings bleibt es eine offene Frage, ob die eingesetzten Verfahren zum Erfolg führen.

Wofür das Cynefin-Framework nutzen?

Das Cynefin-Framework kannst du als Diagnoseinstrument benutzen. Finde bei aktuellen Problemen heraus, um welche Cynefin-Domäne es sich handelt.

Das Cynefin-Framework ist auch gut geeignet, um dich selbst einzuschätzen. In welcher Domäne fühlst du dich besonders wohl?

Versuche auch, das Cynefin-Framework als Prozess zu verstehen. Systeme sind nicht statisch. Und aus komplexen Systemen entstehen in vielen Fällen komplizierte Teilsysteme, die dann wieder gut zu managen sind.

Wenn du als Führungskraft Erfolg haben willst kommt es darauf an, dass du lernst, mit Komplexität umzugehen. Das bedeutet in erster Linie eine Änderung der Haltung. Komplexität wirst du niemals beherrschen können – du bist eingeladen, dich zu öffnen und Komplexität zuzulassen. Eine Portion Mut und Risikobereitschaft gehört dazu, um experimentierend mit Komplexität umzugehen. Schließlich eröffnet dir eine gesunde Neugier, Selbstvertrauen und Gelassenheit die Chance, auf komplexe Fragen hilfreiche Antworten zu finden.

Hier als Podcast-Episode nachhören

Komplexität meistern mit Cynefin

by Gregor Heise | Durchstarten mit Führung

I